Zum Wasser drängt...
Überall Siedlungen am Wasser - Masuren in der Mark - Der Ziest-See bei Königswusterhausen
7. August 1930 Die Stadt der hundert Gewässer wurde Berlin vor kurzer Zeit an dieser Stelle genannt. Die Feststellung mag verblüffend klingen - aber ist Berlin, sind die Berliner, vor allem die vielen tausende erholungsbedürftige Wochenendler und - nicht zu vergessen - die Siedler ohne das geschickt verteilte Geäder der Wasserläufe und Seen überhaupt noch zu denken?
Wenn sich der Siedlungsgedanke in den letzten Jahren so ausbreiten konnte, wenn er die Umgebung Berlins im Sturmlauf erobern konnte, so ist das in erster Linie auf die Tatsache der "hundert Gewässer" zurückzuführen. "Am Wasser?", lautet die berechtigte Frage, die, wie aus der Pistole geschossen, von allen interessierten Seiten geteilt wird, sobald das Gespräch auf eine neue Siedlung kommt: Am Wasser hängt, zum Wasser drängt doch alles, was irgendwie an der Wochenend-Bewegung beteiligt ist. Auch die Siedler, vorausgesetzt, daß sie - es bezahlen können. Denn Parzellen am Wasser oder wenigstens in Siedlungen, die am Wasser liegen, sind erheblich teurer als "trockenes" Land. Das ist durchaus natürlich und berechtigt [..]. Seit zwei Jahren wird da schon gesiedelt und in dieser verhältnismäßig kurzen Zeit ist etwas entstanden, was deutlich die Umfänge eines ruhigen und reizvollen Kurortes erkennen läßt.
Überall im Wald, wo noch gar nicht parzelliert ist, und zwischen den bunten Holzhäuschen hinter Zäunen laufen neue Straßen mit Bürgersteigen [..].
Aus dem Schilf am Seeufer, vom Wasser her und vom Wald tönt in tausend verschienden Leuten die Stimme der Vögel, das Lied einer lebendigen, unverfälschten Natur. Durch das Gewirr des Schilfwaldes führen schwankende Stege aus dickem, knochigem Holzans Wasser, und wenn man nicht von der neuen Badeanstalt her die bunten Farben der Markisen und Strandkörbe leuchte sähe, könnte man meinen, in Masuren und nicht eine Dreviertelstunde vor Berlin zu sein.
Auch diesen Ort wird einmal der Vormarsch der Weltstadt erreichen und das möchte man fast bedauern. Dann ist es mit der Abgeschiedenheit und Unberührtheit der Natur, mit dem [..]
Die Umgebung Berlins ist noch lange nicht zu Ende entdeckt. Wieviele Berliner mögen zum Beispiel wissen, daß es bei Königswusterhausen einen kleinen See gibt, der zu den idyllischsten Plätzen der Mark gehört? In der Nähe des Schifferdörfchens Bindow an der Dahme schmiegt er sich in eine seltsam unberührte Landschaft: Der Z i e s t - S e e. Er gehört nicht mehr zu den "hundert Gewässern", denn er liegt ja schon ein gutes Stück jenseits der Grenze von Großberlin. Auch bis an seine zwischen Birken und Kiefern verborgenen Ufer ist die Siedlungsbewegung schon vorgedrungen, haben wenigstens [..] An der Dahme baut man ein Hotel, das der künftige Mittelpunkt der Siedlung werden soll. Von Königswusterhausen fährt ein paar mal täglich ein Autobus hinaus, der zuerst von den Besitzern der Grundstücke bezahlt wurde, sich aber bald so gut rentierte, daß die Post den Dienst übernahm. Immerhin - es gibt Siedlungen, die näher bei Berlin liegen, denn wenn man in Königswusterhausen ist, ist man noch lange nicht am Potsdamer Platz, aber es gibt sicher nur ganz wenige Siedlungen, die landschaftlich mehr zusagen.
Wenn mann am Ufer des Ziest-Sees steht, wo sich die weißen Stämme der Birken und die dunklen Kronen der Nadelbäume in der spiegelglatten ruhigen Wasserfläche spiegel, glaubt man in einem Naturschutzgebiet zu sein. Der frühere Besitzer des Gutes Bindow, aus dem die Siedlung entstand, hatte sein Land mit Stachelzäunen umgeben lassen und jeden verjagt, der sich innerhalb des Zaunes blicken ließ. Den Vorteil davon haben jetzt die Siedler, die auf einem herrlichen Stück Erde leben dürfen. [..] Keine der vielen Siedlungen in der Umgebung Berlins ähneln einer anderen. Alle sind sie auf einem bestimmten Stil zugeschnitten, haben ganz verschiedenen Charakter, wenden sich an verschiedene Bevölkerungsschichten. Aber so verschieden sie auch sein mögen - in gewissen Punkten findet man, wohin man auch kommen mag überall das selbe Bild. Wenn man etwa so ein halbes Dutzend Siedlungen in allen möglichen Himmelsrichtungen gesehen hat, muß es zum Beispiel auffallen, daß meistens alls Parzellen an den Straßenfronten verlauft sind, daß aber auf den Eckgrundstücken, die dazu oft nicht eingezäunt sind, die Grasbüschel wild und lustig wuchern. Für die Ecken finden sich nur sehr schwer Abnehmer, weil die Käufer für sie die doppelten Abgaben für die doppelt langen Straßenseiten zahlen müßten. Die Abgaben sind es, die auch billige Parzellen teuer machen können, weil sie nie einzeln, sondern leider in Rudeln auftreten - ganz wie die neuen Steuern.
Heinz Barth, Berliner Morgenpost
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