Dolgenbrodt: Das Gut und die Bösen (Fortsetzung)
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April 1945, kurz vor der Kapitulation, erscheinen drei Männer bei Heinrich Specht. Er wird verhört, stundenlang. Er bittet darum, sich eine Zigarre holen zu dürfen. Das damals 14 Jahre alte Hausmädchen Ella Stange ist heute die einzige Zeugin: »Es fielen unfreundliche Worte. Dann knallte ein Schuss. Die Halle des Schlosses war voller Blut.« Ein Nachbar, der später ein Erinnerungsprotokoll schreiben wird, hört ebenfalls den Schuss und will die Männer überwältigen. Sie zeigen ihm ihre Dienstausweise und behaupten, Heinrich Specht habe sich soeben selbst erschossen. Spechts Frau Badana erklärt ihren Abschied vom Leben, täuscht einen Selbstmord aber nur vor und flieht. Sie versteckt sich mit Hardy in einem Forsthaus in der Nähe ihres Gutes. Die Gestapo kehrt kurze Zeit später in das Gutshaus zurück, beschlagnahmt es und plündert es aus. Keine zwei Wochen später nimmt die Rote Armee, von der Oder kommend, das Dorf ein.
Doch statt der erwarteten Befreiung von Willkür und Bedrängnis beginnt eine weitere Etappe tragischer Ereignisse. Die neuen Machthaber sehen in der Familie ehemalige Großgrundbesitzer, die in die »neue Zeit« nicht passten. Eberhard Specht: »Kaum waren wir nach dem Zusammenbruch auf das Gut zurückgekehrt, empfing uns das örtliche Komitee zur Bodenreform. Man erklärte uns, dass wir innerhalb von 24 Stunden unser eigenes Stück Land zu verlassen haben.«
Steine, Fenster, Türen - verbaut in fremden Häusern
Nun erträgt Badana Specht die Last nicht mehr: erst der Verlust ihres Mannes, dann die Vertreibung von Haus und Hof. Sie stürzt sich von der Weidendammbrücke an der Berliner Friedrichstraße. Das Schloss wird von den Dorfbewohnern geplündert, dann im Wahn der Bodenreform abgerissen. Zerschlagene Geschichte, weil man von der Tragödie der Spechts nichts mehr wissen wollte. Dolgenbrodter und Umsiedler aus dem heutigen Polen verbauen Steine, Fenster und Türen in ihren eigenen Häusern. Das Gut wird aufgeteilt, und auch Martha Rudolph ist bei der Zerstückelung dabei: »Wir haben auch zwei Morgen gekriegt. Wir hatten ja genug, aber wir wollten noch ein bisschen Wald dazu ...« Der Name Specht wird von nun an in Dolgenbrodt nicht mehr erwähnt. Mehr als vier Jahrzehnte lang.
Als Eberhard Specht in Brasilien 1990 von den politischen Veränderungen nach dem Fall der Berliner Mauer hört, stellt er beim zuständigen Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen einen Rückübertragungsantrag. Hektisch versuchen die Dolgenbrodter, den Status quo zu zementieren. Einen Monat vor der Währungsunion unterschreiben 18 Dorfbewohner Kaufverträge über Specht-Land zum überaus günstigen Preis von 20 bis 80 Pfennig pro Quadratmeter. Spechts Angebot, sich außergerichtlich zu einigen, lehnt der Gemeinderat ab. Das Dorf kommt nicht zur Ruhe. Weiter auf Seite 4»
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