Dolgenbrodt: Freispruch für das Dorf
9. Juni 1998 In Frankfurt/Oder soll die rassistische Brandstiftung von Dolgenbrodt verhandelt werden. Vor Gericht stehen fünf Männer, die als Einzeltäter gehandelt haben sollen
Wenn am Freitag vor dem Landgericht Frankfurt (Oder) der Prozeß gegen drei anständige Dolgenbrodter Bürger und zwei nicht ganz so anständige Nazis aus Königs Wusterhausen beginnt, geht es einmal mehr um das Ansehen Deutschlands und weniger um die Aufklärung eines ziemlich normalen deutschen Vorgangs. Herauskommen soll und wird vermutlich, daß es fünf Einzeltäter waren und nicht alle Dolgenbrodter Bürgerinnen und Bürger, die gemeinschaftlich handelten, um die Unterbringung von 86 Flüchtlingen in ihrem Dorf zu verhindern.
Als am 1. November 1992 im idyllischen Dolgenbrodt in der Nähe der brandenburgischen Kleinstadt Königs Wusterhausen das Haus abbrannte, in dem einen Tag später die Flüchtlinge untergebracht werden sollten, hätte dieser Brand, bei dem keine Menschenleben unmittelbar gefährdet waren, im deutschen Pogrom-Herbst 1992 auch gut unter „Ferner liefen“ verbucht werden können. Aber es kam anders, denn die Dorfbevölkerung freute sich ein bißchen zu laut, die damalige Bürgermeisterin Ute Preißler erklärte: „Wir waren nicht traurig, daß damit das Problem zunächst gelöst war.“
Vor dem Brandanschlag war auf einer Dorfversammlung in der Ortskneipe der Satz: „Am besten, das Haus würde abbrennen“ mit Applaus quittiert worden. Schnell wurden Gerüchte laut, die Dorfbewohner selbst hätten einen Brandstifter dafür bezahlt, ihnen die Dreckarbeit abzunehmen.
Einer der Brandstifter, Silvio Jakowski, damals 18 Jahre alt, wurde festgenommen und verbrachte elf Monate in Untersuchungshaft. Dann wurde er freigesprochen, aus Mangel an Beweisen. „Ein ganzes Dorf wartete auf den Brand“, äußerte schon 1994 der Richter am Landgericht Potsdam, nur beweisen konnte er es nicht. Das lag nicht zuletzt daran, daß die Staatsanwaltschaft in der brandenburgischen Landeshauptstadt die belastenden Beweise „nicht ausreichend gewürdigt“ hatte, wie es der Bundesgerichtshof in seiner Aufhebung des Freispruchs formulierte. Das Verfahren wurde von Potsdam nach Frankfurt / Oder verlegt, im zweiten Anlauf wurde Jakowski 1995 zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
Unterdessen wollen die Gerüchte nicht verstummen, die Dolgenbrodter hätten den Anschlag finanziert. Die wiederum begriffen, daß man in einer solchen Situation besser den Mund hält, wenn man sich nicht um Kopf und Kragen reden will. Doch das war nicht immer einfach: Susanna Oste zum Beispiel, die Frau des im kommenden Prozeß Hauptangeklagten Thomas Oste, hätte die Aussage gegen Jakowski schlicht verweigern können, wenn sie befürchtet hätte, ihren Mann zu belasten. Weil sie aber damit rechnen mußte, daß eine Aussageverweigerung einen noch stärkeren Verdacht auf ihren Mann lenken könnte, log sie und wurde des Meineids angeklagt. Das Vorgehen der nun zuständigen Staatsanwältin Petra Marx löste in Brandenburg Verwunderung aus. Dabei tat sie nur das Naheliegende, nachdem ihr die Widersprüche in den Aussagen der Dorfbewohner aufgefallen waren. Eine Reihe von Ermittlungsverfahren wegen Meineids und uneidlicher Falschaussage folgten.
Nach dem Anschlag wurden auch noch ominöse Grundstücksgeschäfte in und um Dolgenbrodt bekannt: Kurz vor der Währungsunion 1990 veräußerte die Gemeinde eine Reihe von Grundstücken noch in DDR-Mark zu Tiefstpreisen, womit die Alteingesessenen, viele von ihnen ehemalige SED-Kader, ihre Pfründe sichern wollten. Zimperlich war man hier noch nie. Die Dorfgemeinschaft hatte es schon während der Bodenreform 1945/46 fertiggebracht, eine Nazi-Enteignung zu legalisieren.
Das Land, auf dem das Dorf liegt, gehörte bis zum April 1945 dem Großgrundbesitzer Heinrich Specht, der im „Nationalkomitee Freies Deutschland“ gegen die Nazis Widerstand leistete. Wenige Wochen vor der Kapitulation wurde er während eines Verhörs von der Gestapo erschossen; er hatte zwei Deserteure versteckt. Nach der Ermordung Spechts war dessen Ehefrau Badana Specht nicht mehr sicher, weil sie Jüdin war. Ihr Sohn Eberhard war als „Halbjude“ im November 1944 zur Zwangsarbeit auf dem Flughafen Zerbst und in einem Nebenlager des KZ Buchenwald verpflichtet worden und befand sich seit Februar 1945 auf der Flucht. Weiter auf Seite 2»
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