Dolgenbrodt: Freispruch für das Dorf (Fortsetzung)
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Ohne den Schutz der privilegierten Ehe mit einem „arischen“ Mann drohte Badana Specht noch in den letzten Kriegstagen der Tod. Deswegen täuschte sie einen Selbstmord vor und versteckte sich. Erst als am 27. April 1945 die Rote Armee in Dolgenbrodt einmarschierte, kehrten beide zurück.
Als es dann zu den Enteignungen der Großgrundbesitzer kam, enteigneten dieselben, die sich in den letzten Kriegstagen noch an der beweglichen Habe der Spechts bereichert hatten, als „Gemeinde-Kommission für Bodenreform“ die Spechts ein zweites Mal. Trotz aller Interventionen höherer Stellen und trotz der Proteste von Familie Specht feierte am 1. Dezember 1945 das ganze Dorf, daß sich der Krieg doch noch gelohnt hatte. Selbstverständlich hatte man da schon vergessen, daß man in der NSDAP oder einer anderen Nazi-Organisation gewesen war, und vor allem, daß die Spechts die einzigen Dolgenbrodter waren, die Widerstand geleistet hatten.
Eberhard Specht, der nach S‹o Paulo emigriert war, nachdem seine Mutter im Sommer 1946 Selbstmord begangen hatte - sie war an der unheimlichen Dolgenbrodter Kontinuität verzweifelt -, stellte im September 1990 einen Rückübereignungsantrag, der bis heute verzögert wird. Zum Beispiel wird bestritten, der heute 81jährige Specht sei Nazi-Verfolgter gewesen. Außerdem seien die Grundstücke ja verkauft worden.
Nachdem die Dolgenbrodter und ihre Komplizen zunächst mühsam eine Mauer des Schweigens um eine Tat errichtet hatten, derer sich andernorts die Leute brüsten dürfen, ohne auch nur eine Geldstrafe fürchten zu müssen, sahen sie sich auf einmal einer Justiz gegenüber, die durch eine internationale Öffentlichkeit gedrängt wurde, ihr Desinteresse an einer Aufklärung durch vordergründige Aktivität wettzumachen.
So ist im nun beginnenden Prozeß gegen Thomas Oste, der dem Brandstifter das von den Honoratioren des Dorfes gestiftete Geld übergeben haben soll, Gerd G., einen der Hetzer aus dem damaligen Gemeinderat, Jürgen Sch., der zusammen mit seinem Sohn Marco die Brandsätze gebaut haben soll, sowie die zwei Nazis, die an der Brandstiftung unmittelbar beteiligt waren, der Hauptbelastungszeuge niemand anderes als Jakowski selbst. Staatsanwältin Marx hatte ihn nach seiner Verurteilung als Zeugen vorgeladen, weshalb er selbst mit Beugehaft und einer Anklage rechnen mußte. Jakowski, der es mittlerweile zum kleinen Bauunternehmer gebracht hat - mit Aufträgen aus Dolgenbrodt, versteht sich -, fürchtete, doch noch die Reststrafe absitzen zu müssen und packte Ende 1996 aus.
Die Einzeltäter waren gefunden, der Täterkreis sei „eng und klein“ gewesen, ließ Marx verlauten und plädierte damit für einen Freispruch für Dolgenbrodt. Der Nazi Pierre Stechow, der als Jakowskis Chauffeur fungiert hatte und ebenfalls wegen Meineid angeklagt und verurteilt wurde, sagte im Sommer 1997 vor Gericht, „halb Königs Wusterhausen“ habe von der Sache gewußt: „Ich hatte Angst vor der Verantwortung, so viele Leute hinter Gitter zu bringen.“ Durch Einschränkung des Täterkreises auf die unmittelbar Beteiligten, die Ende Januar 1997 festgenommen wurden und zum Teil erst einige Wochen später gegen Auflagen auf freien Fuß gesetzt wurden, wird aus der Verschwörung der Honoratioren von Dolgenbrodt ein justitiabler Fall. Eberhard Specht, der in Brasilien auf eine Entscheidung über die Rückgabe wartet, kommentiert die Angelegenheit so schlicht wie einleuchtend: „In Dolgenbrodt hat sich nichts geändert.“ Der Prozeß, so ließe sich hinzufügen, wird auch nichts ändern. Quelle: „Jungle World“ vom 09.06.1998
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